
Der Mann, der einfach alles baute
Wer in Freudenstadt über den Marktplatz schlendert, durch Stuttgart spaziert oder in Montbéliard durch die Altstadt streift, begegnet ihm – auch wenn er’s nicht merkt: Heinrich Schickhardt, Baumeister, Ingenieur, Visionär. Ein Mann, der im Zeitalter der Hochrenaissance alles wollte: Städte planen, Brücken bauen, Maschinen entwerfen, Land vermessen – und das mit einer Mischung aus Tüftlergeist, Ordnungsliebe und augenzwinkernder Neugier. Ein Leben zwischen Genie und Geometrie: voller Reisen, Ideen und Baustellenstaub.
Vom Schreinerlehrling zum Renaissance-Allrounder
Geboren wurde Heinrich Schickhardt am 5. Februar 1558 in Herrenberg, als Sohn eines Kunstschreiners. Der Apfel fiel nicht weit vom Werkbankbaum – und so begann seine Laufbahn klassisch mit einer Schreinerlehre. Schon bald zog er weiter, arbeitete in Werkstätten, lernte bei Hofbaumeister Georg Beer und half am prächtigen Neuen Lusthaus in Stuttgart mit – einem Prachtbau, der zeigte: Hier war einer mit Talent am Werk. Schickhardt war neugierig, praktisch und kreativ. Er war kein Theoretiker, sondern ein Handwerker mit Denkerqualitäten – und das war in einer Zeit, in der viele zwischen beiden Welten pendelten, eine goldene Kombination.
Wie schafft man es, an so vielen Orten zu wirken?

Multitalent mit Weitblick
Schickhardt entwarf nicht nur Kirchen und Schlösser, sondern auch Brücken, Mühlen, Stadtpläne und Wasseranlagen.
Er konnte zeichnen wie ein Künstler, rechnen wie ein Mathematiker und denken wie ein Ingenieur. In einer Ära ohne Computer und Baukräne war das eine seltene Mischung – und machte ihn zum gefragtesten Planer im Herzogtum Württemberg.
Reisen bildet – besonders nach Italien
Zwischen 1598 und 1600 begleitete er Herzog Friedrich I. auf einer Reise nach Italien. Er sah dort, was moderne Baukunst bedeutete: Festungsarchitektur, Stadtplanung, Renaissancegärten. Zurück in Württemberg, setzte er diese Eindrücke um – als hätte er ein Stück Florenz in den Schwarzwald importiert.
Mächtige Freunde, kurze Wege
Wer im 16. Jahrhundert Großes bauen wollte, brauchte einen Fürsten, der das bezahlte. Schickhardt hatte genau das Glück: Herzog Friedrich I. von Württemberg war nicht nur sein Auftraggeber, sondern sein Förderer – fast schon Freund. Der Herzog sah in ihm den idealen Mann, um seine Vision eines modernen Landes zu verwirklichen.
Bürokratie? Fehlanzeige.
Die Zeit war günstig: Keine langen Genehmigungsverfahren, keine Projektgruppen oder EU-Fördertöpfe – wer überzeugen konnte, durfte bauen. Schickhardt nutzte das mit einer Effizienz, die selbst heutige Architekten beeindruckt hätte.
Freund, Förderer, Auftraggeber – Die Verbindung zu Herzog Friedrich I.
Als Friedrich I. 1593 den Thron bestieg, suchte er Köpfe, die seine Ideen realisieren konnten. Schickhardt war die perfekte Wahl.
- 1596 schenkte der Herzog ihm ein Grundstück in Stuttgart – ein Ritterschlag für einen Baumeister.
- 1599–1600 reisten sie gemeinsam nach Italien: Ein Herzog und sein Architekt auf Bildungsfahrt – das war nicht alltäglich.
- Zurück in Württemberg begann Schickhardt, Friedrichs große Visionen in Stein zu fassen: Stadtgründungen, technische Projekte, prachtvolle Bauten.
Nach Friedrichs Tod 1608 blieb Schickhardt im Amt, nun als Landbaumeister. Er war nicht mehr der junge Träumer mit Zirkel und Skizzenbuch – sondern der erfahrene Baumeister, der das Land prägte.
Ein Meisterwerk: Freudenstadt

Freudenstadt war so etwas wie Schickhardts städtebauliches Meisterstück. Ende des 16. Jahrhunderts sollte eine neue Stadt entstehen – geplant „auf dem Reißbrett“. Schickhardt entwarf ein Raster aus klaren Linien und Achsen, inspiriert vom Mühlebrett-Spiel. Der zentrale Marktplatz war das Herz – groß, offen, symmetrisch.

Der Herzog hatte eigene Vorstellungen, also musste Schickhardt anpassen. Doch die Grundidee blieb: Ordnung, Übersicht, Luft und Licht – damals revolutionär. Wer heute auf dem Marktplatz steht, sieht diese Logik noch: Renaissance in Reinform, umgesetzt in Stein und Holz.
Zwischen Baukunst und Menschlichkeit
Man kann sich Heinrich Schickhardt gut vorstellen: Mit Feder und Zirkel in der Hand, ein Maßband um die Hüfte, und in Gedanken schon drei Projekte weiter. Vielleicht war er manchmal zu genau, zu fleißig, zu ehrgeizig – aber genau das machte ihn aus. Und ja, ein bisschen Humor darf man ihm zutrauen. Als er sein eigenes Haus bauen durfte, soll er gesagt haben, sinngemäß:
„Endlich mal ein Bauherr, der mir nicht dreinredet!“
Ob’s stimmt? Ungewiss. Aber es würde zu ihm passen.
Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) beendete diese Blütezeit. 1635 wurde Schickhardt, 77 Jahre alt, in Stuttgart von einem Soldaten erstochen, weil er die Vergewaltigung einer Angehörigen (durch diesen Soldaten) verhindern wollte.
Fazit
Heinrich Schickhardt war kein „Ein-Projekt-Mann“. Er war ein Generalist der Hochrenaissance – mit Herz und Hand, mit Reisestiefeln und Skizzenbuch, mit Schreinerhobel und Architekturmodell. Ein Mann, der dachte, zeichnete und baute, während andere noch Maß nahmen.
Unter der Förderung Herzog Friedrichs I. fand er die Bühne, die er brauchte: eine Welt im Aufbruch, hungrig nach neuen Ideen und Ordnung im Stein. Ihre Verbindung war mehr als ein Dienstverhältnis – es war eine Partnerschaft aus Vision und Vertrauen. Gemeinsam prägten sie Städte, Landschaften und Baustile, die bis heute nachwirken.
Und vielleicht ist genau das der schönste Gedanke: Wenn man heute durch Freudenstadt, Stuttgart oder Montbéliard spaziert, dann findet man sie noch – die kleinen Spuren seines Wirkens, die zwischen Kopfsteinpflaster und Fachwerk fast übersehen werden – und doch von einem Geist erzählen, der weiterbaute, wo andere längst Pause gemacht hätten.
Quellen / Sources
- Stadtlexikon Stuttgart: Heinrich Schickhardt (1558–1635) – stadtlexikon-stuttgart.de
- Deutsche Biographie: Schickhardt, Heinrich – deutsche-biographie.de
- Landesbildungsserver BW: Landesgeschichtliche Einordnung – schule-bw.de
- Denkmalstiftung Baden-Württemberg: Heinrich Schickhardt – Baumeister der Renaissance – denkmalstiftung-baden-wuerttemberg.de
- Wikipedia: Heinrich Schickhardt – de.wikipedia.org
Siehe auch Beitrag Friedrich I. – Ein Herzog seiner Zeit
Weitere Informationen unter Europäische Kulturstraße e. V. Heinrich Schickhardt
La traduction française se trouve à la page suivante.