Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in Freudenstadt eine bemerkenswerte künstlerische Szene. Es entstand ein neues künstlerisches Selbstverständnis, geprägt von Reflexion, Aufbruchsstimmung und der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Besonders prägend war die Künstlergruppe „Quadrat“, sowie einzelne Künstlerpersönlichkeiten wie Otto Rühle, Paul Kälberer, Georg Schaible, David Fahrner, Peter Großbach und Albrecht Behmel.
Die Künstlergruppe „Quadrat“ – Ausdruck der Moderne im ländlichen Raum
Die Künstlergemeinschaft „Das Quadrat“ wurde 1957 in Freudenstadt gegründet. Die Gründungsmitglieder waren der Bildhauer David Fahrner sowie die Maler Otto Rühle, Georg Schaible und Kurt Schöpp.
Ziel der Gruppe war es, der bildenden Kunst in Freudenstadt und der umliegenden Region ein Podium zu geben. Bis in die 1990er-Jahre organisierte „Das Quadrat“ über 30 Ausstellungen in Freudenstadt und der Region.
Die Künstlergemeinschaft zeichnete sich durch eine hohe Fluktuation von Mitgliedern und Gastkünstlern aus. Einige Künstlerinnen, wie Margot Jolanthe Hemberger aus Loßburg oder Eleonore Kötter aus Dornstetten, gehörten zeitweise der Gemeinschaft an.
Im Jahr 2018 wurde im Freudenstädter Stadthaus eine Abteilung zur Künstlergruppe „Das Quadrat“ eröffnet. Diese Galerie präsentiert Werke der Gründungsmitglieder und weiterer Künstler der Gemeinschaft.
Die Künstlergemeinschaft „Das Quadrat“ spielte eine bedeutende Rolle in der Nachkriegskunstszene Freudenstadts und trug wesentlich zur kulturellen Wiederbelebung der Region bei.
Wegbereiter der neuen Formensprache
Otto Rühle (1909-1996), einer der führenden Köpfe der Gruppe, ist besonders für seine Landschaftsbilder und Stadtansichten aus dem Schwarzwald bekannt. Seine Werke zeichnen sich durch eine realistische, oft detailverliebte Darstellung aus, wobei er häufig die Natur und Architektur seiner Heimatregion einfing.

Paul Kälberer (1896-1974) widmete sich vor allem der Landschafts- und Heimatmalerei. Seine Werke zeigen oft typische Schwarzwaldmotive – Wälder, Höfe, Dörfer und Menschen in traditioneller Umgebung – und sind durch eine warme Farbgebung und handwerkliche Präzision geprägt. Kälberers Malstil war eher konservativ und realistisch, wodurch er sich als „Heimatmaler“ einen Namen machte.

Georg Schaible (1907-2007): Seine Arbeiten sind dem expressiven Realismus zuzuordnen. Er malte Porträts, Stadtansichten, Stillleben, Akte und zahlreiche Selbstporträts. Die Natur und Landschaft seiner Heimat, insbesondere das obere Murgtal, waren zentrale Motive in seinem Werk. Ab den 1960er-Jahren experimentierte er mit Kugelschreiberzeichnungen, die durch ihre Ausdrucksstärke auffallen.

Dr. Kurt Schöpp (1906-1994)war ein deutscher Chemiker, Maler und Mitbegründer der Künstlergemeinschaft „Das Quadrat“ in Freudenstadt. Geboren in Siegburg, lebte und wirkte er später in Freudenstadt im Schwarzwald. Sein künstlerisches Schaffen und Engagement trugen maßgeblich zur kulturellen Entwicklung der Region bei.
David Fahrner (1895-1962): Sein Werk umfasst eine Vielzahl von Plaketten, Reliefs, Skulpturen und Plastiken. Er war von 1938 bis 1944 mit insgesamt 20 Werken, darunter sieben Plaketten, auf der Großen Deutschen Kunstausstellung vertreten. Sein umfangreiches Werk, das sowohl im öffentlichen Raum als auch in privaten Sammlungen präsent ist, zeugt von seinem bedeutenden Beitrag zur deutschen Bildhauerkunst des 20. Jahrhunderts.

Das Spiel mit Stil und Material
Peter Großbach (1934-1988): Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine klare Formensprache und eine Vorliebe für Bronzeplastiken aus. Zu seinen bekannten Werken zählt die Skulptur „Kleine Sinnende“ aus dem Jahr 1975, eine vollplastische Darstellung eines weiblichen Aktes im Kontrapost, die bei Yves Siebers Auktionen in Stuttgart versteigert wurde.
Trotz seiner künstlerischen Leistungen blieb Peter Großbach in seiner Geburtsstadt Freudenstadt weitgehend unbekannt. Der Heimat- und Museumsverein Freudenstadt hat jedoch einige seiner Arbeiten in seinem Museum im Stadthaus ausgestellt, um das Werk dieses lokalen Künstlers zu würdigen

Albrecht Behmel (1971) hingegen verbindet in seinen Werken klassische Techniken mit surrealen Bildwelten. Seine Arbeiten wirken oft traumartig, voller Symbolik und subtilem Humor. Er ist ein Grenzgänger zwischen Traum und Realität, Figuration und Abstraktion. Mit seiner vielfältigen Arbeit trägt Albrecht Behmel maßgeblich zur zeitgenössischen Kunstszene in Freudenstadt und darüber hinaus bei.
Siehe Beitrag In Freudenstadt kaum bekannter Maler
Bedeutung und Nachwirkung
Die Kunstszene in Freudenstadt nach dem Zweiten Weltkrieg war und ist Ausdruck einer gesellschaftlichen und kulturellen Neuorientierung. Künstler wie die Mitglieder der Gruppe Quadrat oder Einzelgänger wie Fahrner, Großbach und Behmel prägten und prägen die visuelle Identität einer Region, die sich nach Zerstörung und Verlust neu definieren musste.
Ihr gemeinsames Wirken steht für einen Aufbruch – von der Provinz zur Moderne, von der Trümmerlandschaft zur geistigen Freiheit. Ihr Kunst lebt heute in Ausstellungen, Archiven und im kollektiven Gedächtnis der Region.
Heike Butschkus
Siehe auch
Kunst als kulturelle Brücke
Sulamith zieht ins Stadthaus ein
Beitragsbild: „Venus“ von David Fahrer, 1954 – Foto Heike Butschkus